Konstanz ruft den Klima-Notstand aus

Als im letzten Sommer der Bodensee einen historisch niedrigen Wasserstand hatte, da wäre eine solche Maßnahme durchaus angemessen und berechtigt gewesen. Aber am heutigen Tag war sie lediglich ein Hinweis auf ernsthafte Wahrnehmungsprobleme bei den Verantwortlichen der Stadt. Man machte sich damit nur lächerlich, weil Fridays For Future genauso wenig für das Klima bringt, wie ein illegales Autorennen auf der Autobahn. Wenn diese Initiative wirklich etwas bewegen wollte, dann sollte man nicht reden und geistige Notstände ausrufen, sondern Automotoren im Leerlauf auf deutschen Parkplätzen zum Stehen bringen. Das gibt es nämlich täglich millionenfach und es ist allen vollkommen egal. Insbesondere den Ordnungsämtern und der Polizei. Konstanz war einmal eine sehr schöne Stadt und weil ich dort mein Abitur gemacht und studiert habe, kann ich das mit Fug und Recht behaupten. Bei meinem letzten Rundgang durch die Stadt am Ostersonntag vor zwei Wochen musste ich jedoch diverse Missstände feststellen, welche ziemlich rasch zu einem echten wirtschaftlichen Notstand führen könnte. Konstanz hat wie fast alle anderen deutschen Städte einen enormen Bauboom zu verzeichnen. Das sieht man am Seerhein auf den ersten Blick und auch in Petershausen rund um den Bahnhof. Diese Ecke ist selbst für Einheimische nur noch auf den zweiten Blick zu erkennen. Doch man hat wie überall am Bedarf vorbei gebaut.

Konstanz hatte in den achtziger Jahren im letzten Jahrhundert noch eine respektable Industrie. Diese ist inzwischen komplett verschwunden. Das hat die Umweltbelastung insbesondere am Seerhein enorm entlastet, aber heute sitzt dort mit der IHK nur noch ein überflüssiger Mitesser zusammen mit einem defizitären städtischen Kongressveranstalter. In der einstigen Konzernzentrale von Byk Gulden residiert heute das Finanzamt. Telefunken gibt es nicht mehr und dessen Nachfolger Siemens ist stark geschrumpft. Die Rieter Werke bekamen die Schwindsucht und sind nur noch ein kümmerlicher Überrest auf ihrem einstmals großen Firmengelände, auf welchem nur noch die Hillsong-Gemeinde ein permanentes Wachstum verzeichnen kann. Konstanz besitzt zwar noch ein Industriegebiet, welches aus unerfindlichen Gründen ständig vergrößert werden soll, aber es fehlt die Industrie in diesem Gebiet. Es gibt heute viele kleinere und mittlere Unternehmen, aber in den achtziger Jahren war Konstanz noch das Silicon Valley von Deutschland mit CTM d.h. Computer Technik Müller. Hier wurden früher noch Computer gebaut. Sicherlich gibt es das eine oder andere erfolgreiche Startup, aber auch dies sind alles relativ kleine Firmen. Nach Arbeitgebern mit über 100 Beschäftigten muss man heute in Konstanz eine ganze Weile suchen. Die beiden größten Arbeitgeber sind die Universität und die HTWG, doch beide generieren keine Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuern. Deshalb kann Konstanz nicht einmal 60 % seines Haushalts selbst erwirtschaften. Man ist auf Zuschüsse vom Land angewiesen und deshalb eigentlich bettelarm. Noch schlimmer aber ist, dass sich daran vorerst nichts mehr ändern wird. Die Ansiedlung neuer Unternehmen dauert eine gewisse Zeit und keiner weiß wie groß sie später werden können.

Ein kurzer Blick über die EU-Grenze hinweg in die Schweiz zeigt, dass es aber grundsätzlich geht. Dort kann man diese fehlende Industrie nur wenige hundert Meter hinter dem trennenden Zaun auch ohne Brille deutlich sehen. Ein Teil des Problems hängt deshalb durchaus mit dem Standort Deutschland zusammen, aber die andere Hälfte bleibt trotzdem an Konstanz hängen. Schließlich gibt es im benachbarten Singen auf deutscher Seite eine, wenn auch zum Teil sehr veraltete Ansiedlung von Industrieunternehmen. Diese möchte keiner in Konstanz sehen, aber auch in Singen werden sie nicht mehr lange bleiben. Was wir nicht nur in Konstanz, sondern auch in ganz Deutschland benötigen, das sind exakt diese von den CO2-Propheten gelobten klimaneutralen Zukunftsunternehmen. Diese fallen aber nicht mehr wie früher durch fleißige Menschen aus der Region scheinbar vom Himmel, sondern müssen mühsam akquiriert werden. Womit wir langsam zum eigentlichen Problem vordringen. Ein Existenzgründungszentrum gab es in Konstanz schon in den achtziger Jahren, weil es damals zeitgemäß und schick war. Es sollte im ersten Sog der amerikanischen Technologieunternehmen wie Microsoft und Apple auch in Konstanz für einen zukünftigen Aufschwung sorgen. Ein Unternehmen aus diesem Zentrum und auch jener Zeit wurde später tatsächlich sehr erfolgreich. Es handelte sich dabei um die Firma cobra, deren Adressen-Software ich später auch nutzte, bis es kostenlose Anwendungen in der Cloud gab. Gründer dieses Unternehmens war einer meiner Dozenten an der Universität Konstanz. Bezeichnenderweise lag dieses Existenzgründerzentrum am entferntesten Punkt von der Universität entfernt und direkt an der Grenze zur Schweiz. Ein besserer Standort wäre vielleicht zwischen der Universität und der heutigen HTWG (frühere Fachhochschule) gewesen. Aber an solchen Kleinigkeiten konnte man leicht erkennen, dass es der Stadt eigentlich völlig egal war, ob auch etwas dabei herauskam. Man glaubte an die sich selbst heilenden Kräfte der Wirtschaft, welche es jedoch niemals gab. Zumindest nicht in Deutschland.

Konstanz liegt am Ende der Halbinsel Bodanrück im Bodensee und ist durch die Grenze zur Schweiz eigentlich eine Insel. Und genau mit der Mentalität von Inselbewohnern, welche mitunter sehr eigen sind, hat man es in dieser Stadt auch zu tun. Man ist verkehrsmäßig sehr gut an das Autobahnnetz der Schweiz angeschlossen, jedoch nicht an das von Deutschland. Das macht eine Ansiedlung von Unternehmen nicht gerade einfach, aber man hätte sich für diese Anbindung auch einmal etwas früher mehr ins Zeug legen können. Als ich in die Oberstufe kam, fing man in Konstanz gerade mit dem Bau einer gigantischen Autobahnbrücke über den Rhein an. Sie sollte wie in Los Angeles auf Brückenpfeilern über das Industriegebiet hinweg bis zu einer damals in Horb endenden Autobahn führen. In den siebziger Jahren war das Geld für solche Großprojekte noch da, aber man wollte vermutlich seinen Inselstatus doch nicht verlieren. Die Autobahn bis Singen war jedenfalls Ende der siebziger Jahre schon fertig, doch diese Rheinbrücke stand nach meinem Abitur 1978 wie ein einsamer Flugzeugträger ohne Anschlüsse in die Schweiz und Deutschland ungenutzt in der Landschaft herum. Ähnlich wird es auch den zahlreichen heutigen Neubauten in der Stadt ergehen, weil die zahlungskräftigen Mieter niemals eintreffen werden. Man hatte also schon wieder ohne Sinn und Verstand gebaut. Und das funktionierte weder damals noch heute, doch das werden die nie kapieren.

Inkompatibel mit diesem Klimanotstand ist auf jeden Fall das alljährliche traditionelle Seenachtfest im Sommer, welches angeblich über 100.000 Menschen anlockt. Diese verpesten die Luft, produzieren Unmengen an Müll und bringen der Stadt unter dem Strich wirtschaftlich nichts ein, weil man bislang die Umweltkosten nicht berücksichtigte. Als Höhepunkt in der Nacht sorgt schließlich ein gigantisches Feuerwerk für eine extreme Feinstaubbelastung. Entweder hebt man also den Klimanotstand bis zum Sommer wieder auf oder das Seenachtfest 2019 findet konsequenterweise nicht statt. Beides zusammen geht nun wirklich nicht mehr oder macht die ganze Angelegenheit noch viel unglaubwürdiger, als sie ohnehin bereits ist.

Nachtrag vom 5. Dezember 2019: Man führte sowohl das Seenachtsfest 2019 ohne Gewissensbisse durch und plant auch munter das nächste Seenachtsfest von 2020. Doch der Knaller wurde heute über die Lokalzeitung veröffentlicht: Man muss angeblich wegen der Ausrufung des Klimanotstands 4,3 Millionen Euro Schulden im nächsten Jahr aufnehmen. Denn dies ist der eigentliche Grund für die Ausrufung des Klimanotstands zunächst in Konstanz und vor einer Woche in der gesamten EU: Man suchte nur einen Grund für das vermehrte Schuldenmachen!

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