Angesichts dieses schwierigen Balanceakts hat sich die Türkei nur ganz verhalten zum russischen Einmarsch in die Ukraine geäußert.
Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Moskau durch die Entwicklung militärischer Beziehungen zu Kiew verärgert.
Das könnte ihm sein politisches Überleben unmöglich machen, denn er steht direkt hinter der Ukraine auf dem Speiseplan Putins.
Er hatte einerseits die NATO zum Handeln aufgerufen und andererseits betont, wie wichtig es ist, die Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten.
Erdogans ungewöhnliche Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und der Kauf der russischen S-400-Luftverteidigungssysteme haben in den letzten Jahren das Vertrauen der NATO-Verbündeten in Ankara erschüttert.
In der Krise um die Ukraine sagte Erdogan von Anfang an, dass seine Haltung im Einklang mit den Beschlüssen der Nato stehe, und signalisierte damit gewissermaßen, dass er sich nicht einmischen werde.
Einige seiner neueren Botschaften klangen jedoch so, als ob er eine direkte Beteiligung der NATO an diesem Kampf anstrebe.
„Die NATO sollte ihre Position bestimmen und tun, was immer sie tun muss.“
„Wie Sie wissen, haben wir bisher keinen ernsthaften Truppeneinsatz (der NATO) in der Ukraine gesehen.“
„Alle reden nur, aber es wird nicht gehandelt“,
sagte Erdogan am 23. Februar vor Journalisten vor seinem Rückflug aus Afrika, wo ihn die Eskalation der Krise erwischte.
Gleichzeitig betonte er, dass die Türkei aufgrund des „fortgeschrittenen Niveaus“ der Beziehungen zu beiden Ländern weder Russland noch die Ukraine „aufgeben“ könne.
Seine Äußerungen deuten darauf hin, dass er die Krise überstehen möchte, ohne die Ukraine oder Russland zu opfern.
Doch sein Versprechen der Solidarität gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, mit dem er sehr enge Beziehungen pflegt, drängt ihn, die NATO wegen der Versäumnisse zu rügen.
Vor dem NATO-Gipfel am 25. Februar sagte Erdogan in einem sehr kritischen Ton:
„Dies sollte nicht zur üblichen Flut von Verurteilungen führen.“
„(Die NATO) sollte einen entschlosseneren Schritt unternehmen.“
„Wir werden die Positionen aller Regierungschefs sehen und unsere eigenen erklären.“
„Die pro-westlichen Redner haben es bisher versäumt, eine ernsthafte, entschlossene Haltung an den Tag zu legen.“
„Sie alle sind nur damit beschäftigt, über die Ukraine zu reden.“
„Es wurden aber keine Maßnahmen ergriffen.“
„Ich hoffe, dass der Nato-Gipfel zu einer entschiedeneren Haltung führen wird.“
Obwohl Erdogan auf strengere Maßnahmen drängte, gehörte er nicht zu den Leuten, die den Notstandsgipfel der NATO einberufen wollten.
Es bleibt ferner unbekannt, welche Schritte er bei dem Treffen vorschlug.
In der Zwischenzeit wurde die Türkei zweimal auf die Probe gestellt.
Erstens enthielt sie sich der Stimme bei der Abstimmung über Russlands Ausschluss aus dem Europarat am 25. Februar.
Dies offenbarte ihre Zurückhaltung bei der Vorgeheinsweise gegenüber Russland, weil man nicht an vorderster Front stehen möchte.
Der Schritt der Türkei könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass ihr selbst Sanktionen ins Haus stehen.
Der Europarat wird dies bald fordern, weil sie einige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht beachtet hat.
Unal Cevikoz, ein hochrangiges Mitglied der wichtigsten türkischen Oppositionspartei twitterte:
„Die Geschichte wird die Enthaltung der Türkei nicht vergessen.“
Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Türkei wegen der Meerenge am Bosporus und in den Dardanellen, schon immer die Seeverbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer kontrolliert hat.
Die Türkei ist gemäß der Montreux-Konvention von 1936, die komplexe Regeln für Friedens- und Kriegszeiten enthält, für die Verwaltung der Passage durch die Meerengen verantwortlich.
Die Ukraine erwartet, dass die Türkei die Meerengen für russische Schiffe gemäß Artikel 19 schließt, ein Antrag, der vom ukrainischen Botschafter in Ankara offiziell an das türkische Außenministerium gerichtet wurde.
Ankaras erste Reaktion war, dass man erst einmal feststellen sollte, ob die Ereignisse in der Ukraine rechtlich einem Krieg gleichkommen oder nicht.
Am zweiten Tag der Invasion betonte Außenminister Mevlüt Cavusoglu, die Türkei sei keine Kriegspartei, bevor er die folgende Einschätzung abgab:
„Die Türkei kann die Durchfahrt von Kriegsschiffen durch die Meerenge stoppen.“
„Das Montreux-Übereinkommen sieht jedoch auch vor, dass Anträgen auf Durchfahrt stattzugeben ist, wenn Schiffe kriegführender Parteien um Rückkehr zu ihren Heimatbasen ersuchen.“
„Unsere Experten untersuchen nun, ob ein Kriegszustand vorliegt.“
„Wenn wir den Kriegszustand anerkennen, werden wir die Durchfahrt von Kriegsschiffen unter Montreux verbieten, aber selbst dann haben die Russen dieses Recht (bei der Rückkehr zu den Heimatbasen).“
Artikel 19 verbietet die Durchfahrt von Kriegsschiffen, die kriegführenden Mächten gehören.
In Kriegszeiten, macht man aber eine Ausnahme, dass „Kriegsschiffe, die kriegführenden Mächten gehören, ob sie Schwarzmeermächte sind oder auch nicht, die von ihren Stützpunkten getrennt wurden, dorthin zurückkehren können.“
Das bedeutet, dass russische Schiffe im Mittelmeer bis zum Schwarzen Meer fahren könnten.
Artikel 20 überlässt die Durchfahrt von Kriegsschiffen ganz dem Ermessen der Türkei, wenn sie an einem Krieg beteiligt ist.
Und Artikel 21 erlaubt ihr, die Meerengen zu schließen, wenn sie sich von einer unmittelbaren Kriegsgefahr bedroht sieht.
Kriegsschiffen, die nicht zum Schwarzen Meer gehören, von nicht kriegführenden Staaten, wird die Durchreise unter der Bedingung gestattet, dass sie die Türkei 15 Tage im Voraus benachrichtigen und nicht länger als 21 Tage im Schwarzen Meer bleiben.
Außerdem darf die Tonnage dieser Schiffe auf dem Weg durch die Meerenge die Marke von 15.000 Tonnen nicht überschreiten.
Laut Riza Turmen, einem prominenten türkischen Juristen, könnte Russland zwei Argumente gegen die Schließung der Meerenge anführen.
Zusammen mit der Bestimmung über die Rückkehr von Kriegsschiffen zu Heimatbasen könnte Moskau behaupten, dass es keinen Kriegszustand gibt, um sich auf Artikel 19 zu berufen.
Sie könnten dann argumentieren, dass die zwei Regionen im Donbass ihre Unabhängigkeit erklärt haben und die russischen Streitkräfte von ihnen eingeladen wurden.
Nach einem Telefonat mit Erdogan am 26. Februar dankte Selenskyj der Türkei für ihre „tatkräftige Unterstützung“ und fügte hinzu:
„Das Verbot der Durchfahrt russischer Kriegsschiffe ins Schwarze Meer und die bedeutende militärische und humanitäre Unterstützung für die Ukraine sind heute äußerst wichtig.“
„Das werden die Menschen in der Ukraine nie vergessen!“
Die Nachricht löste Berichte in unseren Leitmedien aus, dass die Türkei russischen Kriegsschiffen die Einfahrt in das Schwarze Meer verboten habe, aber die russische Botschaft in Ankara sagte, sie habe keine solche Benachrichtigung erhalten.
Und ein türkischer Beamter sagte gegenüber Reuters, dass keine Entscheidung getroffen worden sei.
Die Küstensicherheitsbehörden von Istanbul bestätigten, dass die Meerengen für russische Schiffe offen bleiben.
Die Meerengen für Russland zu schließen und sie für die Ukraine und die NATO offen zu halten, könnte die Türkei in Schwierigkeiten bringen.
Ein Rückzug Russlands aus der Montreux-Konvention könnte dazu führen, dass die Türkei eine Reihe von Vorteilen bei der Kontrolle der Meerenge verliert, die sie 1936 erlangen konnte, die aber völkerrechtlich nicht mehr zur Verfügung stehen.
Sie erinnert daher als Ausweg an die Ausnahme der Rückkehr zu den Heimatbasen ohne eine Behauptung des Kriegszustands.
In die gleiche Richtung ging Omer Celik, der stellvertretende Vorsitzende und Sprecher der Regierungspartei mit der Äußerung, dass die Türkei „ihren Ermessensspielraum zugunsten von Frieden und Deeskalation nutzen wird“.
Könnte eine Schließung der Meerengen den Lauf der Dinge beeinflussen?
Die russische Schwarzmeerflotte mit Sitz in Sewastopol ist bereits mit voller Kraft in der Region unterwegs.
Und ihre Schiffe im Kaspischen Meer können das Schwarze Meer über den Wolga-Don-Kanal und das Asowsche Meer erreichen.
In einem eventuellen Szenario einer Seehilfe für die Ukraine wäre es auch alliierten Schiffen untersagt, die Meerenge zu passieren.
Daher ist Kiews Schließungsantrag eher als ein Versuch zu sehen, die Türkei dazu zu drängen, Partei zu ergreifen.
Die westlichen Sanktionen gegen Russland stellen Erdogan vor ein weiteres Problem.
Als Russland 2014 die Halbinsel Krim annektierte, kritisierte Erdogan die westliche Untätigkeit ähnlich, weigerte sich jedoch, sich den Sanktionen der USA und der Europäischen Union gegen Moskau anzuschließen.
Auf die Frage, ob sich Ankara diesmal den Sanktionen anschließen werde, sagte Celik, dass „keine derartigen Überlegungen“ gebe.
Der Nato-Gipfel endete ohne Maßnahmen, wie sie Erdogan angesprochen hatte.
Die Entscheidungen konzentrierten sich auf die Verbesserung der Verteidigung der Mitgliedstaaten an der Ostflanke, einschließlich des Einsatzes zusätzlicher Boden-, Luft- und Seestreitkräfte.
Da US-Präsident Joe Biden wiederholt militärische Maßnahmen zur Unterstützung des Nicht-NATO-Mitglieds Ukraine ausschloss, war bereits klar, dass die NATO nicht weiter gehen würde.
Denn die Mitgliedstaaten die Ukraine einzeln zu bewaffnen, würde nur dazu führen, dass sich eine Art Stellvertreterkrieg entwickeln würde.
Der Rhetorik Erdogans scheinen also andere Motive zugrunde zu liegen.
Seit Bidens Wahl zum Präsidenten hat Erdogan versucht, die Probleme zwischen den beiden entfremdeten westlichen Partnern anzugehen.
Und die Ukraine-Krise hat ihm die Gelegenheit gegeben, die Bedeutung der Türkei innerhalb der NATO hervorzuheben.
Auf diese Weise hofft er, seine Position bei heiklen Themen wie dem Ausschluss der Türkei aus dem gemeinsamen F-35-Kampfflugzeugprogramm, der Aufrüstung ihrer bestehenden F-16-Jets, der US-Strafverfolgung der türkischen staatlichen Halkbank und der US-Unterstützung für die syrischen Kurden stärken zu können.
Darüber hinaus steht Erdogan vor aktuellen Poblestellungen, die sich aus den außergewöhnlichen Aspekten ergeben, die er den Beziehungen der Türkei mit der Ukraine und Russland gewidmet hat.
Trotz der offensichtlichen Eskalation in der Ukraine hat er bewaffnete Drohnen an Kiew verkauft und damit Moskau verärgert.
Und durch den Kauf der S-400 aus Russland hat er eine Vertrauenskrise mit dem Westen ausgelöst, was man daran erkennen kann, wie wenig Biden mit Erdogan kommuniziert hat.
Als Russland die Krim eroberte, weigerte sich Erdogan nicht nur, sich den Sanktionen anzuschließen, sondern akzeptierte ganz schnell Russlands Vorschlag für eine TurkStream-Pipeline, die eine bestehende Gasleitung durch die Ukraine nach Europa ersetzen sollte.
Nicht zuletzt deshalb sieht sich Erdogan mit wirtschaftlichen Überlegungen konfrontiert.
Denn die bereits umkämpfte türkische Lira fiel am 24. Februar, als die Invasion der Ukraine begann, stärker als der russische Rubel.
Russland liefert 40 % des Gasbedarfs der Türkei und 25 % ihres Ölbedarfs.
Etwa 66 % der türkischen Weizenimporte stammen aus Russland und 18,5 % aus der Ukraine.
Die Russen bauen das erste Kernkraftwerk der Türkei, das 2023 in Betrieb gehen soll.
Erdogan würde es gar nicht gut tun, wenn dieser Plan in einer Zeit den Bach hinuntergehen würde, in der die Türkei mit Energieproblemen konfrontiert ist und sich die Stromrechnungen der Haushalte vor den Wahlen im nächsten Jahr verdoppelt oder gar verdreifacht haben .
Die Türkei wird deshalb in diesem Jahr sehr von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine betroffen sein.
Auch Sie werden den Ukraine-Krieg in Ihrem Leben niemals mehr vergessen, weil er alles was Ihnen wichtig ist, zerstören wird.
Sie können auf diesen Schlag noch ca. 55 Tage warten, weil ich ihn erst 7 Tage vorher ankündigen werde, oder Sie können schon heute etwas dagegen tun: